Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter kann man an der Corona-Situation vermutlich noch den wenigsten Vorwurf machen. Als Kommunalpolitiker hat er auf die Entscheidungen der Corona-Politik einen eher geringen Einfluss.

Am gestrigen Donnerstag hat er auf Facebook einen Beitrag zur “Corona-Inzidenz in München unter 50” veröffentlicht, mit der Aussicht auf ein weiteres Besprechen in der nächsten Woche. Da war es mir dann doch einmal ein Bedürfnis, dieses Posting zu kommentieren. Danke für den zahlreichen Zuspruch dafür.

Natürlich sind wir weiterhin über jedes like und zustimmenden Kommentar unter diesem bzw. seinem Posting dankbar.

Hier das Posting von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter:

Hier unsere Antwort:

Sehr geehrter Herr Dieter Reiter,

die Kommentare hier zeigen ganz deutlich, dass jeder den Lockdown und das Sicherheitsbedürfnis ganz anders empfindet. Dass die Infektionszahlen sich so stark nach unten entwickeln, ist eine sehr erfreuliche Geschichte. Natürlich liegt es nahe, diesen Trend noch etwas weiter zu verfolgen, um ein größeres bzw. ausreichendes Polster zu haben um nicht nach vorschnellen Lockerungen im nächsten Lockdown zu landen.

Äußerst ungerechte Lockdown-Verteilung

Leider ist dieser Lockdown immer noch sehr ungerecht verteilt. Geschäfte und Dienstleistungen mit sehr geringer Kundenfrequenz und hohen Hygiene- und Sicherheitsstandards mussten schon vor Monaten schließen. Große Produktionen, Großraumbüros etc. laufen währenddessen ungehindert weiter.
Ich bin Geschäftsführer von einem großen Tattoo- und Piercingstudio in München.

Sicherlich werden viele sagen, dass ein Tattoo das letzte ist, was man in Pandemiezeiten benötigt. Das mag richtig sein. Aber auch hier sitzen Menschen mit Familie und Zahlungsverpflichtungen seit Monaten daheim, bei äußerst verringerten Bezügen (Kurzarbeit) oder warten immer noch auf die von Söder angekündigten schnellen, unkomplizierten Hilfen. Wie bei Gastronomie und Co. halt auch. Diese Geschichten kennt inzwischen vermutlich jeder.

Schweiz, Luxemburg und Österreich erlauben körpernahe Dienstleistungen

In den Ländern um uns herum – nehmen wir die Schweiz und Luxemburg als Beispiel – sind die Inzidenzwerte deutlich höher. Trotzdem dürfen körpernahe Dienstleistungen dort unter strengen Hygieneauflagen durchgeführt werden. Österreich startet diese am Montag, bei Vorlage eines maximal 48 Stunden alten Corona-Tests. Das ist übrigens ein Verfahren, das über 90% unserer Kunden gerne mitmachen würden, wie eine Umfrage gezeigt hat.

Irgendwas scheinen diese Länder im Gesundheitssystem und/oder der Kontaktnachverfolgung bei den Gesundheitsämtern besser zu machen.
Deutschland steht ja insgesamt eher schlechter da, dazu weiter unten mehr.
Was ich – jenseits von allen Infektionszahlen und Vorsichtsmaßnahmen – zudem äußerst ermüdend & zermürbend finde, ist die Tatsache mit der Salamitaktik.

Lockerungen wurden ab Corona-Inzidenz 50 versprochen. Und jetzt?

Als ein Inzidenzwert von 50 ausgegeben wurde, da erschien dieser in utopisch-weiter Ferne. Jetzt ist er da. Was passiert jetzt? Man wartet erst noch einmal ein paar Tage darüber ab, bevor man überhaupt darüber redet was man denn machen könnte.

Das mag einem leicht fallen, wenn man ganz normal in Lohn- und Brot steht und arbeiten kann. Dann sind Geschichten wie “nicht Essen oder in die Disco gehen können” ärgerlich. Mehr nicht. Für Menschen wie mich, die seit Monaten daheim sitzen ist so etwas zermürbend.

Monatelang im Winter ohne soziale Kontakte allein daheim wegen Corona

Jetzt ist Februar, der Winter ist die dunkelste Jahreszeit. Seit dem 01. November sitze ich mit meinen Mitarbeitern bzw. jeder für sich allein daheim. Wie tausende aus anderen Berufszweigen auch. November – Dezember – Januar. Das sind jetzt bald 100 Tage. Einhundert Tage ohne Beschäftigung, soziale Kontakte und Einkommen. Viele meiner Kollegen haben inzwischen eine Stimmung, die schon sehr in Richtung „Depression“ geht. Nicht verwunderlich, nach über fünf Monaten Lockdown (wenn man beide Lockdown zusammen addiert).

Geschäftsführer komplett ohne Einnahmen wegen Corona

Ich als Geschäftsführer bekomme z.B. keinen Cent von den Hilfen. Inzwischen über fünf Monate. Miete, Krankenkasse etc. wollen natürlich trotzdem bezahlt werden. Auch beim Geschäftskonto war es haarscharf, weil unser Studio drei Zahltage (abgesehen von einer winzigen Abschlagszahlung) aus eigener Tasche auslegen musste.

Großes Ärgernis Corona-Homeschooling

Mitarbeiter und Freunde von mir verzweifeln am Homeschooling. Wie viele andere Bürger auch. Was „Lockdown mit Kindern“ bedeutet, das kann vermutlich nur nachvollziehen wer (Schul- oder Kitapflichtige) Kinder über Monate im Lockdown daheim hat.

Das sind alles Dinge, für die sie größtenteils nichts können. Ich bitte sie dennoch, in Absprache mit dem Freistaat darauf hinzuwirken, dass Konzepte entwickelt werden, die den Menschen eine Perspektive geben.
Die Perspektive bzw. die Zahl die über Monate ausgegeben wurde, ist 50. Jetzt wo diese erreicht ist, fällt dem Söder dann ein dass man erst einmal nächste Woche darüber reden kann, was man denn eigentlich dann irgendwann mal machen könnte.

Deutschland lieg im Corona-Handling nur auf Platz 55

Deutschland liegt im Handling mit dem Corona-Virus ja nur auf Platz 55. Das ist für ein so reiches Land ein Armutszeugnis und spricht für sich. Merkel, Söder und Co. sind mit vielen falschen Entscheidungen (z.B. den Lockerungen für Großveranstaltungen im Oktober, als die Kurve schon rasant anstieg) dafür verantwortlich.

Ich wünsche Ihnen stets ein gutes Händchen und natürlich Gesundheit.

Stephan Tempel
Tempel München Piercing & Tattoo