Ein Tattoo auf der Hand oder dem Hals – Halstattoo und / oder Handtattoo – will sehr gut überlegt sein.

Dieser Beitrag hatte ursprünglich den Titel “Warum ich als Chef eines großen Tattoo Studios kein Tattoo auf Hals oder Hand habe”. Natürlich ist ein Handtattoo oder auch ein Halstattoo die persönliche Entscheidung von jedem einzelnen. Viele Tätowierer raten aber gerade ihren jüngeren Kunden davon ab.

Ich möchte an dieser Stelle erklären, warum ich mich viele Jahre dagegen entschieden hatte. Aber auch, warum es zum Schluß doch ein Handtattoo wurde.

Warum ich kein Tattoo auf Hand oder Hals habe – Stand September 2017

Jetzt sitze ich hier im Tattoostudio Tempel München vor dem Laptop, um mich herum das surren der Tattoomaschinen. Ich versuche das niederzuschreiben, was ich schon so oft der Kundschaft oder auch dem einen oder anderen Tätowierer erklärt habe.

Warum hast Du keine sichtbare Tätowierung? Also ein Handtattoo oder Halstattoo… oder gar ein Tattoo am Kopf oder im Gesicht?

1. Die wichtigste Begründung: weil ich es nicht brauche

Nicht für mich, nicht für mein seelisches Gleichgewicht, nicht um irgendjemand zu beeindrucken. Letzteres hätte vielleicht vor 10 Jahren noch geklappt, aber heutzutage ist ein Handtattoo ja ungefähr so spannend und rebellisch wie eine veganer Smoothie.

Ich hab es extra für diesen kleinen Artikel vorhin ziemlich genau überschlagen. Bis jetzt dachte ich, ich wäre so ungefähr 200 Stunden unter der Tattoonadel gelegen. Es waren aber eher 270 und in wenigen Wochen werden es dann um die 300 Stunden gewesen sein. Beim überarbeiten dieses Artikels sind es dann inzwischen rund 350 Stunden, in denen ich mich habe tätowieren lassen.

Die katastrophalen Selbstversuche während der Schulzeit mal nicht mitgerechnet, hab ich mein erstes Tattoo in einem Tattoostudio 1995 bekommen.Beim Volker im Scorpions-Tattoo in München.

Richtig Oldschool, direkt hinterm Tresen. Jeder der ins Tattoostudio rein ist hat Dir erst einmal beim gestochen werden zugeschaut. Tätowiert wurde mit einer lauten Spulenmaschine und der Arafat piercte noch im Nebenzimmer. Piercings waren damals ja auch noch richtig spannend… Es gab ja kein Internet, wo man sich über ein Zungenpiercing informieren konnte.

Seit dem ist sehr viel Zeit vergangen, ich hab eine Ausbildung angefangen und erfolgreich abgeschlossen, nebenbei weiter fleißig Tattoo um Tattoo gesammelt. Mitte der 90er – noch mit einem seriösen Beruf “gesegnet” die erste eigene Wohnung angemietet und 2007 haben wir dann unser eigenes Tattoostudio eröffnet.

Wohnungssuche in München mit sichtbarer Tätowierung? Eher kein Vorteil…

Dieses dürfte heute eines der größten Tattoostudios in München sein – und ich hab das alles sehr, sehr gut ohne sichtbare Tätowierung geschafft. Ganz im Gegenteil: ich gehe sogar fest davon aus, dass einige Sachen davon mit sichtbaren Tattoos nicht geklappt hätten.

Wenn Du Dich heute in München für eine Wohnung bewirbst, hast Du fast immer über 100 Mitbewerber. Ob der mit Hand- oder Halstattoo bei seinem potentiellen Vermieter eher einen Vor- oder einen Nachteil bei der Bewerbung hat, überlasse ich eurer Phantasie.

Mein Körper ist fast komplett mit Tattoofarbe überdeckt. Eben bis auf die Stellen, die man sieht wenn ich lange Hose und eine Jacke oder ein langes Hemd trage. Ich weiß dass ich tätowiert bin, ich liebe meine Tattoos – aber ich brauche es für mich nicht, dass auch Hals & Hände tätowiert sind.

2. Weil ich auch gerne mal einen Tag oder Abend untätowiert bin

Klingt das komisch? Ist das vielleicht “untrue”? Verleugne ich was ich bin, arbeite und wie ich fühle wenn ich mal gerne einen Tag oder Abend untätowiert bin?

Ich denke nicht: Natürlich weiß mein kompletter Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis was ich arbeite und dass ich mich schon den größten Teil meines Lebens sehr, sehr ausführlich mit Tätowierungen beschäftigt habe. Dass ich mich immer noch mit Tattoos beschäftige und dass ich mich auch mein ganzes restliches Leben für Tattoos interessieren und begeistern werde.

Tattoos sind für mich einfach etwas unbeschreiblich schönes, prägendes und zum Teil auch magisches. Jetzt ist es aber ohnehin so, dass ich in der Sauna, beim Schwimmen und auch beim Sport der am stärksten/einer der am stärksten tätowierten Menschen in meiner Umgebung bin.

Im Sommer mit kurzen Hosen und im Shirt auch. Dementsprechend oft werde ich auf die Tätowierungen angesprochen. Das ist auch absolut in Ordnung, denn ich habe mich bewußt dazu entschieden, Tattos in dieser Größenordnung auf meinem Körper zu tragen.

Manchmal genieße ich es aber auch einfach, dass ich Abends schön in ein Restaurant, ins Kino, eine Bar oder ein Konzert gehe und einfach nicht wegen meiner Tattoos angestarrt oder auf die Tätowierungen angesprochen werde.

Als Inhaber vom Tempel hat man zumindest in München auch angezogen noch einen gewissen Bekanntheitsgrad. Das mag arrogant klingen, aber wenn ich in den letzten 14 Jahren an jedem Arbeitstag im Schnitt nur mit 20 Menschen geredet habe, dann kommen da mal eben über 80 000 Kontakte zusammen. 20 Kontakte am Tag sind dazu noch eher niedrig geschätzt.

Manchmal möchte ich auch einfach “inkognito” den Abend genießen, anstatt eine ausführliche Tattooberatung in meiner Freizeit zu machen. Ich plane mit euch wirklich sehr gerne eure geilen Tattoo-Ideen- und Projekte. Allerdings nicht zwischen Hauptgericht und Nachspeise beim Italiener mit dem dortigen Kellner. Ebensowenig wenn ihr schon 4 halbe habt im Backstage bei einem Konzert oder im Fußballstadion. Alles schon mehr als einmal vorgekommen.

 

3. Weil ich noch kein Motiv gefunden habe, dass ich wirklich ständig präsentieren und selber sehen möchte

Bei meinen Tattoos gibt es wirklich die unterschiedlichsten Geschichten und Motivationen. Die einen waren sehr gut überlegt und lange geplant, manche eher spontan. Die meisten haben für mich eine Bedeutung – ein paar wenige wollte ich einfach nur haben.

Eines habe ich über die Jahre gelernt: Geschmäcker ändern sich – und das gilt auch für Tattoos. Ich bereue keine meiner Tätowierungen die ich jetzt an meinem Körper habe. Aber wenn ich heute noch einmal die Gelegenheit hätte von vorne anzufangen, dann würde ich das eine oder andere Tattoo anders planen oder den ganzen Körper noch einmal komplett neu tätowieren.

Bei einigen Tattoos bin ich tatsächlich eher froh, dass ich sie nicht ständig sehe, weil sie mich wohl doch über kurz oder lang vielleicht eher nerven würden.

Ich habe über all die Jahre noch kein Motiv gefunden, welches ich wirklich den Rest meines Lebens Nonstop auf meinem Handrücken sehen möchte. Oder ein Halstattoo welches mir bei jedem Blick in den Spiegel entgegenschaut. Ich wüsste derzeit auch kein Tattoomotiv, welches für mich so immens wichtig wäre, dass ich es für den Rest meines Lebens meinen Mitmenschen ständig präsentieren möchte.

 

4. Weil ich nach wie vor der Meinung bin, dass Halstattoo und Handtattoo auch ein bißchen zum Typ passen müssen

Wer hatte früher denn solche Tätowierungen? Rockstars, Zuhälter, Roadies, Türsteher, Hooligans,Punks, Rocker und natürlich auch Tätowierer. Diese Tattoos waren auch fast immer der Hinweis auf einen Outlaw – einer, der bewußt außerhalb der Gesellschaft steht. So sehr ich auch für Subkulturen sympathisiere: Ich selbst bin nicht davon überzeugt, dass ich mich für den Rest meines Lebens mit einer tätowierten Hand derart kennzeichne.

5. Weil ich es einfach lustig/lächerlich finde, wie es oftmals heutzutage ist

Vor allem in der Tattooszene bei den Neu-Einsteigern ist es doch oftmals witzig. Rund 85% des Körpers sind noch untätowiert, teilweise sind sogar die Arme noch frei. Aber Hauptsache auf dem Handrücken oder dem Hals (oder am besten beides) ist eine Tätowierung.

Spätestens im Schwimmbad oder in der Sauna schaut das halt einfacht nicht mehr lässig aus.

Hals und Hände – erst am Ende. Diesen alten Spruch der Tätowierer sollte sich der eine oder andere Neueinsteiger durchaus zu Herzen nehmen.

6. Last but not least: Was bringt die Zukunft? Vorteil mit Halstattoo und Handtattoo?

Ja, es klingt extrem spießig. Aber wir kennen halt viele Leute, die wegen ihrer Tattoos mit der sie in der Jugend der coole Rebell waren, später kein Bein mehr auf die Erde bekommen haben. Selbst alteingesessene Rocker haben uns in jungen Jahren vor Tattoos an Unterarmen gewarnt. An Hals- oder Handtattoos noch gar nicht zu denken.

Auch wenn ich Stand 2017 ein gut laufendes Tattoostudio habe – so weiß niemand, was 2020 oder 2030 ist. Auch dann werde ich noch arbeiten müssen. Ein Hand- oder Halstattoo ist niemals ein Vorteil, egal ob es um die Jobsuche oder um die Wohnungssuche geht.

Wie oben bereits geschrieben. Im Zweifelsfall bekommt die Wohnung (nicht nur in München) nämlich meistens der, der bei ansonsten identischen Vorraussetzungen KEINE sichtbaren Tätowierungen trägt. Für die Arbeitssuche gilt das gleiche. Ein Hand- oder Halstattoo in jungen Jahren ist schlicht und ergreifend nah am Wahnsinn.

Ich habe es bis zu meinem 40. Lebensjahr “ohne” ausgehalten und gehe davon aus, dass das auch die nächsten Jahre so bleiben wird.

Viel Text – aber wenn wenn es auch nur einer liest der sich danach seine Hand- Halstätowierung gründlich überlegt, dann hat es sich gelohnt ihn zu schreiben.

Danke für die Aufmerksamkeit,

Stephan

Update, September 2018: Inzwischen sind es knapp 350 Stunden unter der Tattoonadel geworden. Die meisten lag ich bei Julia Tempel unter der Nadel. Mein Körper ist bis auf Hals, Hände, Gesicht inzwischen randvoll. Ist ja nicht so, dass ich nicht zumindest über ein Tattoo am Hinterkopf nachdenken würde ;)… – aber wie gesagt: der Rest ist halt auch voll 🙂

Update, Mai 2020: Anlässlich meines 43jährigen Geburtstages habe ich mir dann doch zumindest auf einer Hand ein Tattoo gegönnt. Ein Widerspruch zu dem bislang geschriebenen?

Nicht unbedingt: Der Rest ist inzwischen komplett voll, ich bin der Rente wieder ein paar Jahre näher gekommen. Zudem habe ich ein Motiv gefunden, welches der gleichen Motivation entspringt, wegen der ich bereits vor 25 Jahren mein erstes Tattoo bekommen habe. Wer mehr über die Motivation zu meinen Tattoos lesen will, der kann das an dieser Stelle machen.

Was 25 Jahre später immer noch gilt, das wird auch für den Rest des Lebens gelten.