Im Gespräch beim European Tattoo Panel – Tattoo-REACH
Obwohl Tattoo-REACH schon seit vielen Jahren existiert, hat es in der letzten Woche die Tattoo-Szene erschüttert. Fast alle Tätowierer oder Inhaber von Tattoo-Studios wurden von der Tragweite von Tattoo-REACH überrascht.
Wie wir im Tempel München Tattoo damit umgehen, schreiben wir hier.
Wir haben euch Tattoo-REACH bereits in zwei vorherigen Artikeln näher vorgestellt. Interessant ist vor allem der Artikel, in dem wir euch die nach jetzigem Kenntnisstand verwendbaren Farben vorstellen:
Was bedeutet Tattoo-REACH für die Tattoo-Farben? Stand 10.10.21
Im Internet kursieren zu Tattoo-REACH einige Mythen und natürlich auch Verschwörungstheorien. Das European Tattoo Panel hat sich dem ganzen am gestrigen Mittwoch den 22.09.2021 angenommen.
Die Gesprächsrunde ging insgesamt etwas über 90 Minuten. Sie kann auf der Instagram-Seite des European-Tattoo-Panel in voller Länge angesehen werden:
Hochrangige Gesprächsrunde beim European Tattoo Panel
Das European Tattoo Panel wurde von einigen Monaten ins Leben gerufen. Die Initiatoren Gordon Lickefett und Thomas Sembt kennen einige bereits von Tattoosafe, vom Bundesverband Tattoo oder Doc Tattooentfernung. Zur gestrigen Gesprächsrunde kamen dann noch Erich Mähnert und Michel Dirks mit dazu.
Die beiden letztgenannten sind u.a. die Initiatoren der “Save the Pigments”-Petition. Zu dieser Petition bzw. zum aktuellen Stand der Petition haben wir bereits heute einen Artikel veröffentlicht.
Tattoofarben-Petition “Save the Pigments” – aktueller Stand 23.09.2021
Der Werdegang von Tattoo-REACH
Die ECHA (European Chemical Agency) beschäftigt sich bereits seit dem Jahr 2008 mit Tätowierfarben, aber auch Tattoo-Nadeln etc.
Zusammen mit Wissenschaftlern und Medizinern werden hier die verschiedenen Komponenten mit denen Tattoos erstellt werden auf alle möglichen Auswirkungen auf den Körper und die Psyche untersucht.
Von Seiten der Mediziner setzt sich insbesondere Prof. Dr. med. Jören Serup (Kopenhagen) für den Erhalt der Tattoo-Kultur ein. Auch Michel Dirks ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Er ist hier seit Jahren unentgeltlich tätig.
Wenn die beiden sich nicht mit anderen zusammen mit anderen auf ECHA- und REACH-Ebene für die Tattoo-Szene eingesetzt hätten, wären schon längst die Lichter aus.
Leider fehlen viele Protagonisten der Tattoo-Szene
Das Problem der Tattoo-Szene ist, dass viele erst aufwachen wenn es zu spät ist. Oder sie nutzen ihre Reichweite nur für die eigene Selbstdarstellung. Bei den hier aktiven sieht das zum Glück anders aus.
Erich Mähnert
Erich ist seit 20 Jahren Tätowierer mit eigenem Tattoostudio und einigen Mitarbeitern. Seit vier Jahren ist er als Funktionär in der Wirtschaftskammer Wien (Branchensprecher WKÖ im Bundesausschuss) in Österreich tätig. Dazu muss man wissen, dass Tätowieren in Österreich streng Reglementiert ist.
Michel Dirks
Michel seit 2004 um Tattoofarben bemüht, seit 2008 warnt er vor dem Farbverbot. Die Regulierung der Tattoo-Faren hat angefangen 2003 mit einer Regulierung durch EU. Im Jahre 2008 wurden dann schon mehr Sachen definiert, z.B. welche Pigmente (nicht) in Tätowierfarbe enthalten sein dürfen. Aber auch die Grenze für Schwermetalle wie Nickel etc..
Sieben verschiedene Tätowiermittelverordnungen entstanden auf diesem Weg. Rund um das Jahr 2013 wurde vom European Joint Research Center (Dirks nahm Teil als Stakeholder) Daten rund um das Tätowieren gesammelt (Tattoofarben, Inhaltsstoffe, wie sieht der normal Tätowierte aus).
Als der Endbericht darüber geschrieben wurde, waren fast alle schockiert.
Der Endbericht führte nicht zu einer Tätowiermittelverordnung aus dem Joint Research Center heraus, sondern es wurde ein Brief an die ECHA geschrieben mit der bitte Tätowierfarben zu regulieren. Das ganze innerhalb eines Zeitrahmens von zwei Jahren.
Darin waren zwei Restriktionsvorschläge mit zum Teil wahnwitzigen Werten, die nicht aus Erfahrungen resultieren. Laut Michel sind sie schon sehr nah am überhaupt technisch machbaren.
Weitere 25 Pigmente wurden verboten
Dazu wurden weitere 25 Farbpigmente für Tattoofarbe verboten. Die Gründe dafür sind zum Teil nicht bekannt und/oder nachvollziehbar. Dazu kommen noch blau und grün (bereits bekannt). Diese wurden übrigens bereits mit der Resolution 2008 und der Umsetzung in die Deutsche Tätowiermittelverordnung verboten.
Zusatzstoffe wie Konservierungsmittel wurden soweit reglementiert bzw. minimiert, dass sie eigentlich wirkungslos sind. Das ist der aktuelle Stand.
Fragerunde beim European Tattoo Panel
Es gab bereits im Vorfeld zur Instagram-Live Sendung die Möglichkeit Fragen per Mail oder DM zu senden. Auch während der Sendung konnten Fragen gestellt worden. Dies wurde sehr zahlreich genutzt.
Welche Farben sind ab 2022 erlaubt, stimmt es dass es nur noch schwarz geben wird?
Michel beantwortet: Von den 27 verbotenen Pigmenten sind 25 Pigmente austauschbar, wobei die erlaubten Pigmente zum Teil deutlich besser und lichtstabiler sind. Der einzige Unterschied ist, dass sie das drei- bis vierfache mehr Kosten. Die Hersteller von Tattoofarbe haben sich vermutlich bislang lediglich darum größtenteils nicht bemüht. Er geht aber davon aus, dass sie es jetzt wo der Druck da ist bei den meisten Tattoofarben schaffen werden.
Bei blau und grün schaut es allerdings schwerer bzw. anders aus. Hier gibt es keine echten Alternativen.
Auf Konservierungsmittel kann man seiner Meinung nach verzichten. Bleiben noch die Bindemittel, aber auch das hält Michel für lösbar.
Lange rede – kurzer Sinn. Es wird bestimmt noch Farben zum Tätowieren geben, aber es braucht halt alles seine Zeit.
Gordon fasst zusammen: Anfang 2022 wird es vermutlich ein extrem reduziertes Farbsortiment geben.
Welche Farben wird es von welchen Herstellern noch geben?
Erich Mähnert sagt: Bislang noch nicht zu beantworten, weil sich noch kein Farbhersteller in die Karten schauen lässt.
Dürfen Tattoofarben auch nach dem 05.01.2022 noch aufgebraucht werden?
Nein, nicht REACH-Konforme Farben dürfen weder gelagert, verkauft oder angewendet werden. Übrigens auch nicht einmal in die EU importiert werden.
Hat Edding die REACH-Verordnung angestoßen oder beeinflusst?
Erich beantwortet: Das kann er nach seiner Erfahrung durch seine Tätigkeit in den letzten Jahren in der Politik etc. ausschließen.
Anmerkung Stephan: Wenn Edding das vorangetrieben hätte, dann würde Edding zum jetzigen Zeitpunkt verkaufsfertige Tattoofarben präsentieren (können). Das ist aber aktuell nicht der Fall. Das ganze Thema wird in einem ausführlichen Artikel in den nächsten Tagen weiter beleuchtet.
Werden die Tattoofarben teurer?
Michel beantwortet: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie merkt man vermutlich stärker als den jetzigen Mehraufwand. Farben werden vielleicht 1-2 Euro teurer, aber das wird nicht dramatisch.
Dürfen die Farben noch zum zeichnen verwendet werden?
Selbstverständlich. Sie dürfen nur nicht mehr zum tätowieren verwendet werden.
Wer kontrolliert die Einhaltung und wie wird ein Verstoß geahndet?
Die Gesundheitsämter kontrollieren das Stichprobenartig. Ordnungswidrigkeiten nach der REACH-Verordnung werden mit bis zu 50 000 Euro oder 5 Jahren Gefängnis bestraft.
Wichtiger Hinweis: REACH löst die sieben Tätowiermittelverordnungen nicht ab. Diese gelten weiterhin und der jeweilige Sachbearbeiter kann die strengere Verordnung anwenden. EU-Wahnsinn at it´s best…
Qualität und Haltbarkeit der Tattoofarben nach Tattoo-REACH
Wird die Qualität und Haltbarkeit oder Auswahl der Farben leiden?
Michel hält das weitestgehend für nicht gegeben. Es werden ein paar Umstellungen erforderlich sein.
Drei führende Hersteller bieten derzeit mindestens schwarz an, was REACH-Konform ist. Die Teilnehmer bei Tattoo-REACH wollen keine Namen nennen, bitte beim Supplier nachsehen.
Kann ich außerhalb der EU als Kunde Farben bestellen und die von meinem Tätowierer einarbeiten lassen?
Nein. Im übrigen regulieren auch andere Länder ihren Markt für Tattoofarben ganz massiv. Weitere Schritte dort werden folgen.
Bringt die Petition überhaupt noch etwas?
Hierzu führt Erich ausführlicher aus. Auch das ist einen extra Artikel wert.
Tattoofarben-Petition “Save the Pigments” – aktueller Stand 23.09.2021
Wie kommt es, dass bislang immer nur von blau und grün die Rede war, aber jetzt auf einmal von über 4000 Inhaltsstoffen die Rede ist?
Michel meint, hätte man alles gleich bekannt gegeben hätte das die Leute überfordert
Wie lange dauert es, bis eine neue Tattoofarbe entwickelt ist?
Wenn man schnell ist ungefähr zwei Jahre.
Was kann man aktuell noch machen?
Die Petition unterstützen.